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Valerie E.
Charakter- oder Gesellschaftsstudie? Eine junge Journalistin bekommt die Chance eine mutmaßliche Serienkillerin zu interviewen. Allerdings darf sie mit ihr nur über deren Kochkünste reden. Wenn das kein kreativer Ansatz ist, weiß ich auch nicht. Mittlerweile gibt es diese Bücher, bei denen jemand im Gefängnis sitzt, interviewt wird und seine Unschuld beteuert ja zuhauf. Darum fand ich den neuen Ansatz, die Person und die Gesellschaft genauer zu beleuchten, und das Verbrechen in den Hintergrund zu verdrängen, genial. Was als spannende Charakterstudie beginnt, entwickelt sich Seite für Seiten zu einer Gesellschaftsstudie, bei der die Erwartungen, die an Frauen gerichtet werden, ihr Wert und die gesellschaftlichen Normen, die die Welt scheinbar am Laufen halten, hinterfragt werden. Manako war wirklich eine spannende Figur. Sie war mir tief unsympathisch, unbequem, hat sich deutlich von den typischen Frauencharakteren abgehoben und ich konnte und wollte sie lange nicht verstehen. Dadurch war sie immer für eine Überraschung gut und ich habe lange gebraucht, um sie zu durchschauen. Wobei für mich noch immer viele Fragen offen sind. Mit Rika konnte ich mich allerdings sehr gut identifizieren, auch wenn es eindeutig kulturelle Unterschiede zwischen uns gibt. Sie handelt reflektiert, wächst über sich hinaus, lernt sich selbst und ihre Gesellschaft besser kennen und gibt nicht auf. Der Schreibstil ist eher distanziert und ich habe ein paar Seiten gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, aber sobald ich einmal drin war, war der Text sehr flüssig lesbar. Die Handlung ist auch vielschichtig und, abgesehen von ein paar Längen in der Mitte, mitreißend, unvorhersehbar und voller Wendungen. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass mir das Ende ein wenig zu schnell kam. Ich persönlich hätte noch ein paar Seiten gebraucht, um mit der Geschichte abzuschließen. Nichtsdestotrotz ist das Buch ungewöhnlich und um Welten innovativer, als die meisten Bücher und das, obwohl die Themen der Geschichte schon häufig bearbeitet wurden. Mir hat das Buch sehr viel Freude bereitet und ich kann es zu 100% empfehlen!
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Missy Mesmerized (miss mesmerized)
Manako Kajii ist das Sensationsthema in ganz Japan: hat die unattraktive junge Frau reihenweise Männer verführt und dann in den Tod getrieben? Man kann ihr keine unmittelbare Täterschaft nachweisen, doch die Indizien sind erdrückend. Sie weigert sich mit Journalisten über das zu sprechen, was geschehen ist, einzig Rika findet den richtigen Weg, um sie zu öffnen: es sind die Kochkünste, der leidenschaftliche Genuss des Essens und vor allem der Gebrauch von Butter, über den sie mit der Verdächtigen in eine ungewöhnliche Beziehung tritt. Bis zu ihrem ersten Kontakt hat Rika das asketische japanische Ideal gelebt und dem, was sie zu sich genommen hat, nur wenig Bedeutung beigemessen, wichtig war nur, dass sie ihre zierliche Figur behält. Doch nun gewinnt sie einen anderen Blick und verfällt immer mehr dem Einfluss der mörderischen Geliebten. Asako Yuzuki ist in ihrer japanischen Heimat vielfach für ihre literarischen Werke ausgezeichnet worden, daneben schreibt sie auch für das Fernsehen und Radio. Immer wieder greift sie in ihren Werken aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf, die sie kritisch hinterfragt. In „Butter“ gelingt es ihr, einen Kriminalhandlungsstrang mit ausgereift plastischen Beschreibungen des Genusses mit der Frage nach der Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft zu verbinden. Der Titel wie auch das Cover wecken leider nicht unmittelbar Interesse, was bedauerlich ist, denn für mich ist der Roman ein wahrlich herausragendes Meisterwerk in vielerlei Hinsicht. „zuzunehmen ist nicht gut. Ich habe keine Idealvorstellung vom Körper einer Frau, aber es könnte so aussehen, als würdest du dich gehen lassen. Das wirkt nicht vertrauenswürdig.“ Manako Kajii polarisiert die Öffentlichkeit, nicht nur wegen der womöglich unglaublichen Mordserie, sondern vor allem wegen ihres Aussehens. Sie ist nicht hübsch, sie ist nicht schlank und doch gelingt es ihr offenbar, reihenweise Männer zu verführen und auszunutzen. Beides in inakzeptabel: das gängige Schönheitsideal schlichtweg missachten und die Oberhand über Männer gewinnen. Auch Rita spürt dies unmittelbar. Nachdem sie angefixt von der Verdächtigen beginnt, ihr Essen zu genießen und entsprechend nur wenige Kilos zunimmt, erklärt ihr komplettes Umfeld ihr sofort, wie sie das Problem wieder in den Griff bekommen kann. „Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise.“ Für Rika eröffnet sich eine völlig neue Welt, die mit ungeahnten Sensationen verbunden ist, die man als Leser förmlich aufsaugt und ebenfalls spürt. Im starken Kontrast zu diesen begeisternden Empfindungen steht das, was über das Verhältnis von Männern und Frauen gesagt wird. Egal ob am Arbeitsplatz oder im Privatleben, die Japanerin hat sich unterzuordnen und dem Mann zu dienen. Tut sie dies nicht, muss sie mit Ablehnung oder gar offen zur Schau getragenem Hass rechnen. Das Geschlechterverhältnis ist schwierig, wird durch Schweigen verkompliziert und ist hauptsächlich dadurch charakterisiert, dass Egoismus vorherrscht und Empathie fehlt. In den Gesprächen mit Manako Kajii und ihren Nachforschungen über deren Vorgeschichte emanzipiert sich auch Rika von den Normen und beginnt zunehmend zu hinterfragen, was sie bis dato als gegeben hingenommen hat. Perfekt orchestriert eröffnet sich der Roman wie ein mehrgängiges Menü. Ein leichtes Hors d’œuvre, das die Geschmacksnerven öffnet, bevor Gang für Gang immer wieder neue gustatorische Highlights kommen, die sich von dem davor unterscheiden und eine neue Note hinzufügen. Am Ende ist man wie nach einem reichhaltigen Mal etwas erschöpft ob der Vielfalt dessen, was man gerade genossen hat. Aber man würde es jeder Zeit wieder tun.