"Machen wir uns den Sachverhalt nochmals klar: Wenn die Psychologie, welche die Anlagen, Triebregungen, Motive, Absichten eines einzelnen Menschen bis zu seinen Handlungen und in die Beziehungen zu seinen Nรคchsten verfolgt, ihre Aufgabe restlos gelรถst und alle diese Zusammenhรคnge durchsichtig gemacht hรคtte, dann fรคnde sie sich plรถtzlich vor einer neuen Aufgabe, die sich ungelรถst vor ihr erhebt. Sie mรผsste die รผberraschende Tatsache erklรคren, dass dies ihr verstรคndlich gewordene Individuum unter einer bestimmten Bedingung ganz anders fรผhlt, denkt und handelt, als von ihm zu erwarten stand, und diese Bedingung ist die Einreihung in eine Menschenmenge, welche die Eigenschaft einer "psychologischen Masse" erworben hat. Was ist nun eine "Masse", wodurch erwirbt sie die Fรคhigkeit, das Seelenleben des Einzelnen so entscheidend zu beeinflussen, und worin besteht die seelische Verรคnderung, die sie dem Einzelnen aufnรถtigt?"
Dieser Frage, niedergeschrieben von Sigmund Freud in seinem Buch "Massenpsychologie und Ich-Analyse", widmete sich der franzรถsische Gelehrte Gustave Le Bon erstmals umfassend in seinem Hauptwerk "Psychologie der Massen" aus dem Jahr 1895. Er beschreibt hier intensiv die Verhaltensverรคnderung des Individuums, die sich aus ihrer Zugehรถrigkeit zu einem grรถรeren Personenkreis, einer Masse, ergibt. Mit diesem Werk wurde Le Bon zum Begrรผnder und Vordenker der Massenpsychologie. Seine Ideen und Ansichten entwickelte er auf zahlreichen Reisen zu verschiedenen Vรถlkern Afrikas und Asiens. Dort betrieb Le Bon intensive vรถlkerkundliche Studien und verรถffentliche daraufhin zwei umfangreiche Beschreibungen der Kulturen des Orients und der Araber.
Sein erfolgreichstes Buch, die Buchvorlage zum Hรถrbuch "Psychologie der Massen" wurde in 10 Sprachen รผbersetzt und beeinflusste nachweislich andere renommierte Wissenschaftler wie Max Weber oder Sigmund Freud.